Modul S: Deportation, Selektion, Massenmord: die Behandlung sowjetischer Kriegsgefangener in den Konzentrationslagern

Marco Kühnert

 

Zielgruppen
Dieses Seminar ist für alle Gruppen geeignet; sowohl für Erwachsene, insbesondere Angehörige der Bundeswehr, als auch für Schulklassen ab Klassenstufe 10 und Berufsschulklassen

 

Themen, Fragestellungen und Ziele
Die verbrecherische Behandlung sowjetischer Kriegsgefangener durch das NS-Regime ist in der Geschichtswissenschaft, auch hinsichtlich der außerordentlichen Dimension der Verbrechen, unumstritten. Die von Massenmorden, Aushungerung, Deportationen, Selektionen, KZ-Haft und Zwangsarbeit betroffenen Soldatinnen und Soldaten der Roten Armee gehören jedoch außerhalb der Fachöffentlichkeit, ähnlich den italienischen Militärinternierten (IMIʼs), zu den seit den 1980er-Jahren so bezeichneten „vergessenen Opfern“, wobei sie den größten Anteil an dieser Gruppe stellen. Spätestens seit Christian Streits Studie Keine Kameraden (1978) ist in der Forschung anerkannt, dass die sowjetischen Kriegsgefangenen nach den europäischen Juden die zweitgrößte von NS-Massenverbrechen betroffene Opfergruppe darstellen. Zwischen dem 22. Juni 1941 und Kriegsende gerieten etwa 5,7 Millionen Rotarmisten in deutsche Gefangenschaft, von ihnen kamen 3.300.000 (57,5 %) zu Tode. Das Ausmaß der Verbrechen wird noch deutlicher, wenn man weiß, dass von den 232.000 englischen und amerikanischen Soldaten in deutscher Gefangenschaft 8348 (3,5 %) starben. Schon im August 1941 brachen in den Lagern, in denen sowjetische Kriegsgefangene inhaftiert waren, Seuchen wie Ruhr und Typhus aus. So starben von den 361.000 sowjetischen Gefangenen, die sich im Herbst 1941 im Generalgouvernement in Lagern befanden, bis zum April 1942 mehr als 85 Prozent. Insgesamt kamen allein bis Februar 1942 etwa zwei Millionen sowjetische Kriegsgefangene um.
In der deutschen Gesellschaft ist das Wissen um diese Massenverbrechen bis heute wenig bekannt. So ist das Schicksal der sowjetischen Kriegsgefangene in den Lehrmaterialien bzw. Curricula u. a. der allgemeinbildenden Schulen, aber auch in der deutschen Erinnerungskultur und selbst an Orten, in denen während des Nationalsozialismus sowjetische Kriegsgefangene inhaftiert und ermordet wurden, oft unterrepräsentiert. Im Seminar wird über die Verbrechen informiert und die Gründe dafür behandelt, weshalb das Schicksal dieser Opfergruppe im Nationalsozialismus bis heute nicht angemessen (re-)präsentiert ist. Dabei sollen folgende Fragestellungen bearbeitet werden: Welche Rolle spielte die NS-Ideologie als Hintergrund für die Massenverbrechen? Wie wurden die verbrecherischen Befehle der politischen und militärischen Führung an die unteren Ebenen kommuniziert und letztlich umgesetzt? Wer waren die Verantwortlichen? Welche Handlungsspielräume waren für diejenigen vorhanden, die sich nicht an den Verbrechen beteiligen wollten; wer leistete unter welchen Umständen Widerstand? Wie wurde nach 1945 mit diesen Verbrechen in der deutschen Nachkriegsgesellschaft umgegangen?

 

Während des Seminars werden das Gelände erkundet und Ausstellungen der KZ-Gedenkstätte Neuengamme besucht, die mit dem thematischen Schwerpunkt verbunden sind. Das Seminar ist als Tagesveranstaltung, aber auch als Bestandteil innerhalb mehrtägiger Seminare, beispielsweise in Ergänzung zum Modul „Wehrmacht und Unrechtshandeln im Nationalsozialismus“ buchbar.